Wir haben nicht wirklich gelernt, was „Leid“ bedeutet. Statt uns den Gefühlen zu stellen, die uns herausfordern oder aus der Bahn werfen, haben wir gelernt zu fliehen, zu verdrängen und Schmerz als etwas zu vermeiden. Besonders in unserer kapitalistischen Gesellschaft wird Leid oft als Problem betrachtet, das es zu „beheben“ gilt.
Dabei ist Leid kein pathologischer Zustand. Es ist der Schmerz, dem wir alle begegnen, der an Wendepunkten unseres Lebens auftaucht und uns zur Auseinandersetzung mit uns selbst zwingt. Wenn wir ihm Raum geben, kann Leid uns transformieren.
Als Psychotherapeutin weiß ich, dass Resilienz kein Zustand ist, den man einmal erreicht. Sie ist ein lebenslanger, dynamischer Prozess, der Mut und Selbstreflexion erfordert. Resilienz verlangt, sich unangenehmen Gefühlen zu stellen und das vermeintlich „Negative“ zu akzeptieren. Erst in dieser Auseinandersetzung liegt die Chance, gestärkt aus Krisen hervorzugehen.
In einer Gesellschaft, die dem Schmerz keine Bühne gibt, wird das Annehmen von Leid zu einem Akt der Rebellion. Es bedeutet, das Recht auf authentisches Leiden zurückzuerobern und Räume zu schaffen, in denen Trauer und Schmerz verarbeitet werden können. Leid gehört zum Leben – es in seiner ganzen Schärfe zu erleben, ist der einzige Weg, wahre Resilienz zu entwickeln.
Das Minimieren von Schmerz und die Tabuisierung von Trauer verhindern, dass wir die nötige Stärke aufbauen, um Krisen zu bewältigen. Wir müssen lernen, Leid bewusst anzunehmen und mit dunklen Zeiten offen umzugehen, um gestärkt daraus hervorzugehen.
In der Akzeptanz von Leiderfahrungen und im mutigen Blick in die Dunkelheit des Lebens liegt die Möglichkeit, eine tiefere Verbindung zu uns selbst und anderen zu finden. Schmerz ist oft der Anfang einer neuen Erkenntnis. So entwickeln wir nicht nur Resilienz, sondern auch Mitgefühl für uns selbst und andere.
Diese Fähigkeit, mit Leid zu leben und es als Teil des menschlichen Seins zu akzeptieren, ist in einer Welt, die von Druck und Hektik geprägt ist, besonders wichtig. Die ständige Jagd nach Effizienz lässt wenig Raum für tiefes Nachdenken und das Zulassen von Gefühlen.
Indem wir uns dem Leid stellen, gewinnen wir eine neue Perspektive auf unser Leben. Wir lernen, immer wieder aufzustehen, zu heilen und zu wachsen. Dieser Prozess führt zu einer tieferen, reiferen Stärke, die uns widerstandsfähiger und mitfühlender macht.
Resilienz ist nicht die Abwesenheit von Schmerz, sondern die Fähigkeit, ihn zu tragen und daran zu wachsen. In einer Gesellschaft, die Leid stigmatisiert, ist es eine mutige Entscheidung, dem Schmerz zu begegnen und ihn zu akzeptieren. So schaffen wir eine stärkere, mitfühlendere Gemeinschaft und ein authentischeres Leben.
»Ein Must-Read über das Menschsein – und eine nuancierte Antwort darauf, warum es sich lohnt, das Durcheinander namens Leben mit beiden Händen zu ergreifen.« Shila Behjat, Journalistin und Autorin
»Ein Universum existentieller Gefühle zwischen zwei Buchdeckeln, in dem Leid sein darf. Aushalten, atmen, annehmen.« Nora Hespers, Journalistin und Autorin
»Nady Mirian ist eine einzigartige Kennerin der menschlichen Seele. Ein großes Buch für alle, die tiefer blicken wollen.« Gilda Sahebi, Journalistin und Autorin
»Mit großer Kraft und Liebe zum Leben erzählt dieses Buch von der Wärme, die sich freisetzt, wenn aus erlittenem Schmerz ein neues Sehen entsteht.« Marica Bodrožić, Autorin
Seit 2016 forsche ich zu den Themen (Cyber-)Mobbing und den damit verbundenen gesellschaftlichen Ausgrenzungsprozessen wie Stigmatisierung sowie deren Einfluss auf Gewalt im Netz. Meine Dissertation „Mobbing und Inklusion – ein empirischer Schuldvergleich mit Ausblick auf konstruktivistische Präventionsmaßnahmen“ basierte auf einer quantitativen und qualitativen Studie mit 215 Kindern, die Mobbing im Grundschulalter (3. und 4. Klasse) in inklusiven und nicht inklusiven Schulen untersuchte. Ziel der Studie war es, die Bedeutung des Inklusionskonzepts zu verdeutlichen und aufzuzeigen, dass Ausgrenzung im Kopf beginnt – die Schulform hat einen erheblichen Einfluss auf die Denkweise der Kinder. Kinder lernen Ausgrenzung unter anderem durch gesellschaftliche Modelle.
In meiner Arbeit erörtere ich konstruktivistische Lösungsansätze gegen Mobbing an Schulen und distanziere mich von starren Zuschreibungen wie „Mobbingopfer“ und „Mobbingtäter“, um Mobbing als gesellschaftliches Problem zu beschreiben. Ohne einen kollektiven Prozess gibt es kein Mobbing. Die Forschung zu Bystandern, die seit 1968 eine bedeutende Rolle spielt, hat hierbei großen Einfluss. Das Ergebnis meiner Studie zeigte, dass Mobbing an inklusiven Schulen – unter Berücksichtigung der Bausteine der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK, 2006) – seltener auftritt, da u.a. die Interindividualität innerhalb der Schulgemeinschaft gestärkt wird und Zusammenhalt gefördert wird.
Auswahl wissenschaftliche Publikationen
Mirian, N. (2021): Zwischen Vulnerabilität und Resilienz - Experteninterview mit einem jugendlichen Transmann zum Umgang mit Transgeschlechtlichkeit in der Schule. In: Vanagas, A. (Hrsg.): Sexualpädagogische (Re-)Visionen: Sexualpädagogik als Diskriminierungsschutz für Schule und außerschulische Bildungsarbeit. Wiesbaden: Springer VS.
Mirian, N. (2020): Mobbing und Inklusion - ein empirischer Schulvergleich mit Ausblick auf konstruktivistische Präventionsmaßnahmen. Wiesbaden: Springer VS.